Broschüre
Seit dem 8. Mai 2020 hat unsere Kampagne EntnazifizierungJetzt bereits über 850 Skandale mit Nazis und Rassist*innen in den deutschen „Sicherheitsbehörden“ gesammelt. Wie groß das Ausmaß ist, wollen wir mit der Veröffentlichung unserer Broschüre „Fünfundfünfzigtausend Schuss“ aufzeigen und anklagen.

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Unsere Ergebnisse zeigen, dass es sich nicht nur um „Einzelfälle“ handelt: Nazis und Rassist*innen in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Justiz bilden Netzwerke und nutzen diese Strukturen zur Unterwanderung unserer Gesellschaft. Das Problem ist deutlich größer als von öffentlicher Seite immer behauptet wird. In regelmäßigen Abständen wurden in den letzten Jahren Gruppen enttarnt, die einen Umsturz planten. Ihre Mitglieder waren u.a. Polizisten, Soldaten oder Richter, wie zuletzt im Reichsbürgernetzwerk….
… Fast täglich lesen und hören wir von Nazis in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz (VS), Bundesnachrichtendienst (BND) und Justiz. Wir haben im Mai 2020 angefangen, systematisch alle Fälle zu dokumentieren, bei denen rechte und rassistische Vorfälle bei der Polizei, der Bundeswehr, den Geheimdiensten oder der Justiz zu Tage traten. Auch wenn uns immer wieder weisgemacht werden soll, es handele sich nur um „Einzelfälle“, ist längst klar: Sie bilden Netzwerke und nutzen diese Strukturen zur Unterwanderung unserer Gesellschaft. Unsere bisherigen Ergebnisse können auf der folgenden Karte nachverfolgt werden...
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Weiterführende Literatur
Allgemein und Aktuell:
Dirk Labs: Staatsfeinde in Uniform. Ullstein, Berlin 2021.
Mathias Meisner / Heike Kleffner (Hrsg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Herder, Freiburg / Basel / Wien 2019.
Aiko Kempen: Auf dem rechten Weg? Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei. Europaverlag, München 2022.
Benjamin Derin / Tobias Singelnstein: Die Polizei: Helfer, Gegner, Staatsgewalt. Inspektion einer mächtigen Organisation. Econ Verlag, Düsseldorf 2022.
Justiz:
Mehmet Daimagüler / Ernst von Münchhausen: Das rechte Recht. Die deutsche Justiz und ihre Auseinandersetzung mit alten und neuen Nazis. Karl Blessing Verlag, München 2021.
Joachim Wagner: Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? Berliner Wissenschaftsverlag 2021.
Historisches:
Dr. Norbert Podewin (Hrsg.): Braunbuch BRD. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Edition Berolina, Berlin 2021.
Vereinigte der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (Hrsg.): Das Landgericht Lüneburg als „Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung“ der 1950er/60er Jahre (3 Teile). Campus Copy, Lüneburg 2015.
Aufarbeitungsprojekte oberster Bundesbehörden:
Justizministerium:
Manfred Görtemaker / Christoph Safferling: Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. C.H.Beck, München 2016, eine Kurzfassung ist hier online abrufbar: https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Akte_Rosenburg_Geschichtsband_1.pdf?__blob=publicationFile&v=20.
Bundeskriminalamt:
Imanuel Baumann / Herbert Reinke / Andrej Stephan / Patrick Wagner: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik. Luchterhand Fachverlag, Köln 2011, online hier abrufbar: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Publikationen/BKA-Historie/bka-historie_node.html.
Innenministerium:
Frank Bosch / Andreas Wirsching: Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus. Wallstein, Göttingen 2018.
Bundesnachrichtendienst:
Hermann Zölling / Heinz Höhne: Pullach intern. Genereal Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Hoffmann und Campe, Hamburg 1971.
Als Literaturliste und (teilweise) als PDF: Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 – 1968online
unter: http://www.uhk-bnd.de/?page_id=340.
Verfassungsschutz:
Constantin Goschler / Michael Wala: Keine neue Gestapo. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Rowohlt, Hamburg 2015.
Bundesgerichtshof:
Klaus-Dieter Godau-Schüttke: “Der Bundesgerichtshof”. Justiz in Deutschland. Tischler, Gols 2005.
(Es gibt dazu auch eine aktuell noch arbeitende Historikerkommission)
Bundesanwaltschaft:
Friedrich Kießling / Christoph Safferling: Staatsschutz im Kalten Krieg. Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF. dtv, München 2021.
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Keine Einzelfälle

Hier finden sich ähnliche Artikel
Die Informationsstelle Militarisierung
e.V. (IMI) veröffentlichte kürzlich eine Broschüre unter dem Titel
„Keine Einzelfälle! Wie der Staat mit rechten Soldat*innen und ihren
Netzwerken umgeht“.
Am Dienstag, 13.12.2022, findet um 19:00 ein Online-Vortrag statt, bei dem die Broschüre von den Autoren vorgestellt wird: https://ultramarin.collocall.de/inf-t4g-dl1-9bu
„Spätestens seit der Rede von der Zeitenwende und der grassierenden Aufrüstungsstimmung schien das Thema der Rechten Netzwerke in der Bundeswehr in Vergessenheit geraten zu sein. Wir sind dran geblieben. Die aktuellen Razzien gegen zum Staatsstreich bereite Reichsbürger zeigen jetzt erneut, dass wir gar nicht genau genug hinschauen können“, ordnet Martin Kirsch die unerwartete Aktualität des Themas ein.
Die Autoren Luca Heyer, Martin Kirsch und Alexander Kleiß blicken auf die letzten fünf Jahre zurück. Wie verliefen die politischen Debatten um strukturelle Probleme in der Bundeswehr? Welche Überschneidungen gibt es zu den Debatten in den 1990er Jahren? Wie steht es um die (Nicht-)Aufarbeitung der rechten Umtriebe im Kommando Spezialkräfte (KSK)? Welche Rolle spielt die AfD für rechte Soldat*innen? Und: Wieso versagte die Justiz in den letzten Jahren bei der Verfolgung des Hannibal-Netzwerks?
„Dass beim Hannibal-Netzwerk und dem KSK offensichtlich nicht genau genug hingeschaut wurde, zeigt sich jetzt. Reichsbürger und Neonazis mit Umsturzplänen fühlten sich durch die bislang sehr zahnlose Reaktion des Staates in ihrem Vorgehen eher bestätigt als abgeschreckt. Die Reformen beim KSK haben die Probleme nicht gelöst. Das KSK muss dringend noch genauer unter die Lupe genommen werden“, fordert Luca Heyer.
Interessierte können die Broschüre bei der IMI bestellen oder kostenlos hier als PDF herunterladen: https://www.imi-online.de/2022/12/08/keine-einzelfaelle/
Inhalt
Editorial
Keine Einzelfälle 3
von Alexander Kleiß und Martin Kirsch
Haltungsproblem, Führungsschwäche, Korpsgeist
Warum die Debatte um Konsequenzen aus den rechten Netzwerken bereits vor deren Auffliegen endete5
von Martin Kirsch
Erschreckend ähnlich
Rechte Vorfälle und die folgende Debatte in den 1990er Jahren16
von Martin Kirsch
Kommando Spezialkräfte
Alles beim Alten?
von Alexander Kleiß
Die Farbenlehre des MAD
Per Definition keine Nazis vorhanden
von Alexander Kleiß
Rechte (Netzwerke) vor Gericht
Wie die Justiz einen vermeintlichen Schlussstrich unter das Hannibal-Netzwerk zieht28
von Luca Heyer
AfD in rechten Netzwerken
Politischer Arm des Rechtsterrorismus? 34
von Luca Heyer
Und
die Polizei?
Auch
Polizeibehörden haben ein massives Problem mit rechten Netzwerken
37
von
Martin Kirsch
Editorial
Keine Einzelfälle
von
Alexander Kleiß und Martin Kirsch
Ende
Oktober 2022 besucht Verteidigungsministe-
rin
Christine Lambrecht das kleine Städtchen Calw
im
Nordschwarzwald. Dort ist das Kommando Spezi-
alkräfte
(KSK) der Bundeswehr stationiert. Waren die
Besuche
von Politiker*innen und Generälen in Calw in
den
letzten Jahren eher durch Skandale, Problemver-
messungen,
und die Verkündung von Reformvorhaben
geprägt,
schlägt die aktuelle Verteidigungsministerin
bei
ihrem Antrittsbesuch einen anderen Ton an: „Ich
kann
den Frauen und Männern beim KSK mein voll-
stes
Vertrauen aussprechen.“
Fünfeinhalb Jahre nach dem Auffliegen von Franco
Albrecht und seinen Terrorplänen, vier Jahre nach den
ersten Berichten über das Hannibal-Netzwerk und
knapp zweieinhalb Jahre nachdem die Zerschlagung
des Kommando Spezialkräfte aufgrund gehäufter
rechte Vorfälle diskutiert wurde, zieht die Verteidi-
gungsministerin damit einen Schlussstrich…
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Schwerpunkt Rechtsterrorismus „Selbstermächtigung ist in der DNA des KSK“
Schwerpunkt Rechtsterrorismus: Der Journalist und Filmemacher Dirk Laabs recherchierte zwei Jahre lang zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden. Entstanden ist das Buch „Staatsfeinde in Uniform: Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern“, das diese Woche erschienen ist. Ein Gespräch über bewaffnete Preppernetzwerke, die Skandale um das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Mitschuld des Militärischen Abschirmdienst (MAD) – und dessen Bedeutung für die Mordserie des NSU.
Von Nicholas Potter|

Belltower.News: Preppernetzwerke mit Feindeslisten,
grassierende Umsturzfantasien, Vorbereitungen auf einen „Tag X“,
massenhaft vermisste Munition und Waffen – ist die Bundeswehr
mittlerweile die gefährlichste rechtsextreme Organisation der
Bundesrepublik?
Dirk Laabs: Nein, das ist sie sicherlich
nicht. Es gibt aber schon eine rechtsextreme Minderheit, die sich
immer weiter radikalisiert hat, die für den Krieg ausgebildet wurde,
die sich professionalisiert hat – und die man zu lange hat machen
lassen. Es gibt also nun eine gewaltbereite Szene, die jederzeit in
der Lage ist, Terroranschläge zu begehen. Das ist ein großes
Problem.
Im Vergleich zu online-radikalisierten Rechtsterroristen wie
dem Halle-Attentäter, der nur dank seiner eigenen Inkompetenz und
mangelhaften selbstgebastelten Waffen nicht mehr Menschen ermorden
konnte, sind diese Soldaten bestens trainiert und ausgerüstet…
Ganz
genau. Auch die islamistischen Attentäter des „IS“ oder
„Al-Qaida“ waren größtenteils Amateure, auch wenn sie viele
Menschen töten konnten. Wenn sich jetzt ausgebildete Elitesoldaten
radikalisieren, ist das natürlich ein ganz anderes Level an
Bedrohung. Alleine schon wegen ihrer Schießfertigkeit….
Dirk Laabs
Staatsfeinde in Uniform:
Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern
448
Seiten
ISBN: 9783430210324
€ 24,00
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Eliteeinheit der Bundeswehr
Was steckt hinter der Munitionsaffäre beim KSK?
Nach einer umstrittenen Sammelaktion von Munition beim Kommando Spezialkräfte im Frühjahr 2020 gerät die Spezialeinheit weiter in die Kritik. Inzwischen wurden die Kommunikationsgeräte des verantwortlichen Brigadegenerals sichergestellt und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) gerät unter Druck.
Von Marcus Pindur | 05.05.2021
- Was umfasst die Munitionsaffäre beim KSK?
- Welche Rolle spielt Brigadegeneral Markus Kreitmayr?
- Welche Rolle übernimmt Kramp-Karrenbauer in der Munitionsaffäre?
- Welche Gremien können zur Aufklärung der Munitionsaffäre beitragen?
- Welche politischen Konsequenzen könnte die Munitionsaffäre haben?
- In welchem Kontext/Milieu konnte die Munitionsaffäre entstehen?
- Rechtsextremismus-Vorwürfe und Reform des KSK
- Welche Aufgabe hat das Kommando Spezialkräfte?
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Der enthemmte Maaßen zeigt, wie gefährlich der Verfassungsschutz ist
Nein, es ist wirklich kein Fake-Account. Hans-Georg Maaßen entwickelt sich mit rechten Provokationen zum Twitter-Troll. Das Problem: Wenn so jemand über Jahre Chef eines Geheimdienstes sein konnte, dann ist der „Verfassungsschutz“ noch gefährlicher für die Demokratie als wir immer dachten. Ein Kommentar. 15.07.2019 um 17:42 Uhr – Markus Reuter – in Demokratie – 19 Ergänzungen

Hans-Georg Maaßen entwickelt sich vom CDU-Rechtsaußen offen zum rechtsradikalen Provokateur und Twitter-Troll. Der ehemalige Präsident des Inlandsgeheimdienstes mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ weiß, wie er als unbedeutender Politiker ohne Funktion Öffentlichkeit und Medien bespielen kann. Gleichzeitig agitiert er mit der „Werte-Union“ in der CDU für eine Zusammenarbeit mit der AfD…
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NSU-Akten gratis
Wir veröffentlichen, was der Verfassungsschutz 120 Jahre geheim halten wollte
Die Geschichte des NSU ist auch eine Geschichte der jahrelangen Vertuschung beim Verfassungsschutz.
FragDenStaat und das ZDF Magazin Royale veröffentlichen jetzt Geheimdokumente, die vielleicht nur deshalb geheim sind, weil sie ein schlechtes Licht auf den Verfassungsschutz werfen: Hier sind die „NSU-Akten“.
Freitag, der 11. November 2011: An dem Tag, an dem die Justiz die Ermittlungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) aufnimmt, werden im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hektisch Akten geschreddert. Auch in den Verfassungsschutzbehörden der Länder herrscht ähnliche Aufregung: Im hessischen Verfassungsschutz durchforstet eine Beamtin sogar sonntags das Archiv nach Bezügen zum NSU…
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NSU-Akten geschreddert
Von: Steffen Hebestreit
Acht Tage nach Entdeckung der mutmaßlichen Hintermänner der Morde an Migranten vernichtet der Verfassungsschutz wichtige Akten. Was verbergen die Ermittler?
Der 11. November 2011 ist ein Freitag. In Köln feiern die Jecken auf dem Heumarkt den Beginn der Fünften Jahreszeit. In einer Wohnstraße in Chemnitz blicken die Nachbarn auf ein ausgebranntes Haus, in dessen Obergeschoss zuletzt drei junge Leute gewohnt haben. Und in Karlsruhe beschließt Generalbundesanwalt Harald Range, die Ermittlungen über eine rechtsextremistische Terrorzelle aus Thüringen an sich zu ziehen.
Im Bundesamt für Verfassungsschutz rotieren sie. Einen Tag zuvor hat Präsident Heinz Fromm die Beschäftigten der Abteilung 2 angewiesen, die sich mit Links- und Rechtsextremismus beschäftigt, alle vorhandenen Unterlagen darauf zu prüfen, welche Informationen das Amt zur rechtsextremen Szene in Deutschland im Allgemeinen, in Thüringen im Besonderen hat.
Fast 100 Leute sichten Hunderte Akten, Tausende und Abertausende Blatt Papier und Dateien. Die Verfassungsschützer gehen dem Verdacht nach, dass ein rechtsextremes Mörder-Trio innerhalb von sieben Jahren zehn Menschen getötet haben könnte. Ein Verdacht, der sich kurz darauf erhärtet.
Es steht in diesen Tagen nicht nur die Zukunft von Behördenchef Heinz Fromm, sondern der Ruf des Amtes auf dem Spiel. Haben die Schlapphüte etwas mit der Sache zu tun? Gibt es Verbindungen zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe? Waren Mitglieder des Trios womöglich V-Leute? Haben sie Geld vom Verfassungsschutz erhalten? Hat das Bundesamt die Mörder sogar geschützt?
Monatelang gelogen
Man muss sich all dies in Erinnerung rufen, um zu verstehen, weshalb die Aufregung darüber nun so groß ist, dass just an diesem Tag sieben Akten im Kölner Amt zur Vernichtung freigegeben worden sind, die zumindest mittelbar mit dem Fall zu tun haben könnten. Niemand Geringeres als der langjährige Referatsleiter Rechtsextremismus (Beschaffung) ist es, der die ominösen sieben Akten sichtet und auf Hinweise zu dem Thüringer Terrortrio prüft. Die Akten, so viel weiß man, enthielten Berichte von V-Leuten. Der Mann notiert, sie hätten aber keine Verbindungen zum aktuellen Fall. Er ordnet die Vernichtung der Schriftstücke an.
Ein solcher Vorgang ist nicht völlig ungewöhnlich, schließlich sind die Verfassungsschützer gehalten, wenn sie ältere Akten in die Hand nehmen zu prüfen, ob die nicht längst die Speicherfrist von fünf, manchmal zehn Jahren erreicht haben und vernichtet werden müssen. Routine? Es werden, so viel scheint im Augenblick klar, die einzigen Akten sein, die in jenen aufgeregten Tagen von Köln in den Reißwolf wandern. Zufall? Ausgerechnet Unterlagen über die gemeinsame „Operation Rennsteig“ mit dem Landesamt Thüringen und dem Militärischen Abschirmdienst?
Das Fehlen jener sieben Beschaffungsakten, über deren Umfang die Behörden noch nichts sagen können, fällt rasch auf. In einem Schreiben an den Generalbundesanwalt heißt es im Dezember, sieben Akten seien vernichtet worden. Wann? Im Januar 2011, lautet die Antwort ? lange bevor das Treiben des Nationalsozialistischen Untergrund im Land publik wurde.
An diesem Punkt wird aus einer ungewöhnlichen Geschichte eine hochnotpeinliche. Der erfahrene Referatsleiter vernichtet nicht nur zur Unzeit ein Aktenpaket. Er lügt auch monatelang über den Zeitpunkt der Vernichtung. Er lügt noch, als die FR vor zehn Tagen über die bis dahin unbekannte Operation Rennsteig und die verschwundenen Akten berichtet. Der Präsident des Verfassungsschutzes will es genauer wissen, schließlich muss Fromm nächste Woche vor den Untersuchungsausschuss. An welchem Tag im Januar 2011 sind die Akten zerstört worden?
Die Beamten konsultieren am Mittwoch die Protokolle der Vernichtungsaktion und stutzen. Für Januar lassen sich dazu keine Eintragungen finden. Sehr wohl aber für den 12. November 2011. Acht Tage nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt. Einen Tag, nachdem die Zeitungen voll sind von Berichten über die Thüringer Terrorzelle. „Zu diesem Zeitpunkt war es ihm nicht mehr möglich, das Weitere zu verschweigen“, heißt es in Sicherheitskreisen.
Der Referatsleiter wird versetzt, ein disziplinar-rechtliches Verfahren gegen ihn eingeleitet. Sein Motiv? Unklar. Das Bundesamt spricht von individuellem Fehlverhalten. Ein solcher Vorgang sei ihm in zwölf Jahren als Präsident nicht vorgekommen, stöhnt Fromm. Ausgerechnet in diesem sensiblen Fall patzen seine Mitarbeiter. Ein Versehen?
Quelle: https://www.fr.de/politik/nsu-akten-geschreddert-11346572.html
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Gezielte Sabotage
02.02.2015 · Thüringen, Untersuchungsausschüsse
Auf über 1.800 Seiten hat der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss (UA) in seinem Abschlussbericht »Rechtsterrorismus und Behördenhandeln« seine Ergebnisse zusammengefasst. In 68 Sitzungen wurden in zweieinhalb Jahren 123 ZeugInnen und Sachverständige gehört und 11.681 Akten gesichtet. Mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses, der Landtagsabgeordneten Katharina König (DIE LINKE), sprach Ernst Kovahl von »der rechte rand« über den Stand der Aufklärung zum »Nationalsozialistischen Untergrund«.
drr: Der Thüringer NSU–UA geht in seinem nun öffentlich vorgelegten Bericht deutlich weiter als die Ausschüsse in Bayern, dem Bund oder in Sachsen. In dem Papier heißt es zum Beispiel: »Die Häufung falscher oder nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards lassen aber auch den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu.« Was ist mit »gezielter Sabotage« gemeint?
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Hintergrund:Warum das NPD-Verbotsverfahren scheiterte
24. Januar 2005, 20:44 Uhr
Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat stützten ihren Verbotsantrag maßgeblich auf die Aussagen von V-Leuten. Drei der sieben beteiligten Verfassungsrichter sahen in der intensiven Beobachtung der NPD durch V- Leute auf der Führungsebene ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“.
Von 2001 bis 2003 zog sich das von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengte Verbotsantrag gegen die NPD hin. Am Ende lehnte beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Das Verbotsverfahren scheiterte im März 2003, da das Gericht nicht mehr trennen konnte, welche Aktivitäten von der Partei selbst und welche vom Verfassungsschutz initiiert worden waren. Damals war jeder 7. Funktionsträger in der NPD-Leitungsebene Informant eines Verfassungsschutzamtes.
Im Zweiten Senat gab es nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit von sechs Stimmen für die Fortsetzung des Verfahrens. Drei der sieben beteiligten Mitglieder sahen in der intensiven Beobachtung der NPD durch V- Leute auf der Führungsebene ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Vier Richter hielten hingegen die Fortsetzung des Verfahrens für geboten.
Quelle:https://www.sueddeutsche.de
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USA
„Ich werde den verdammten Verteidigungsminister anrufen“
Korrespondent in Washington , Washington
Donald Trump soll zum Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol aussagen. Das hat der entsprechende Untersuchungsausschuss nach mehr als einjährigen Ermittlungen beschlossen. Allerdings gilt es als wenig wahrscheinlich, dass der früherer US-Präsident der Vorladung folgen wird.
Quelle: WELT/ Nancy Lanzendörfer
Der Sonderausschuss zur Erstürmung des Kapitols lädt Trump vor. Vor allem aber sieht die Öffentlichkeit bisher geheim gehaltenes, dramatisches Filmmaterial vom 6. Januar 2021.
Ein bisschen Dramatik muss sein. Über zwei Stunden lang hat der Sonderausschuss zur Erstürmung des Kapitols an diesem Donnerstagnachmittag getagt. Nun lässt Bennie Thompson im Cannon Caucus Room alle neun Mitglieder des Untersuchungsausschusses aufrufen. Neunmal ertönt ein Ja. Damit ist Donald Trump vorgeladen, soll vor dem Ausschuss aussagen, auf Fragen zum 6. Januar 2021 antworten.
„Er muss sich für seine Taten verantworten“, sagt Thompson, Demokrat und Vorsitzender des Ausschusses: „Er muss sich vor den Polizeibeamten verantworten, die ihr Leben und ihren Körper aufs Spiel setzen, um unsere Demokratie zu verteidigen.“ Dass Trump vor den Abgeordneten erscheinen wird – damit rechnen wohl weder Thompson noch seine Kollegen. Der Beschluss, den Ex-Präsidenten vorzuladen, darf symbolisch verstanden werden. Immerhin: Er beugt dem Argument vor, die Abgeordneten hätten Trump ja nicht hören wollen
Nach diesem Drehbuch agierte Trump
Trump hatte schon weit vor der Wahl im November 2020 erklärt, er könne diese Wahl gar nicht verlieren – es sei denn durch Betrug. Nach diesem Drehbuch agierte er. Seine „Siegesrede“ von der Wahlnacht („Wir hatten heute eine Wahl – und ich habe gewonnen“) war bereits am 31. Oktober 2020 verfasst worden. Auch Berater Steve Bannon erklärte Tage vor der Wahl, Trump werde sich zum Sieger erklären. Aufnahmen eines dänischen Filmmachers zeigen diese Szenen am Donnerstagnachmittag im Ausschuss-Saal.
Etliches Material, das der Ausschuss präsentiert, ist bereits bekannt, etwa die Aussagen einer Mitarbeiterin von Trumps Stabschef. Die Verbindungen zwischen Trumps Leuten und den rechtsradikalen Milizen „Proud Boys“ und „Oathkeepers“ können ebenso wenig verwundern.
Umso faszinierender ist bis dato unbekanntes dramatisches Video-Material, das US-Spitzenpolitiker während der Belagerung des Kapitols durch den Pro-Trump-Mob zeigen. Da etwa ist Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, die über Gänge aus dem Kapitol heraus geleitet wird. „Wir müssen das Verfahren zu Ende bringen, sonst haben sie einen vollständigen Sieg“, sagte Pelosi in dieser Szene mit Blick auf die Zertifizierung des Wahlergebnisses, sprich des Sieges von Joe Biden…
Tesla-Chef
Zwischen Selbstbewusstsein und Größenwahn – Elon Musks Vorliebe für Autokraten
Später ist Pelosi, an einem geheim gehaltenen, geschützten Ort zu sehen. Während Trump das gewaltsame Geschehen am und im Kapitol via Fox News im Speiseraum des Weißen Hauses tatenlos verfolgte, versuchten führende Demokraten, die Ordnung um das Kapitol herzustellen.
„Hi Gouverneur, hier ist Nancy“
Pelosi telefonierte so mit dem damaligen Gouverneur von Virginia, Ralph Northam („Hi Gouverneur, hier ist Nancy“). Sie bat ihn, Sicherheitskräfte abzuordnen. Pelosi schaute parallel die Berichterstattung bei CNN, rief Northam erkennbar erschüttert zu: „Oh mein Gott. Sie schlagen einfach Fenster ein, sie machen alles Mögliche … sie sagten, jemand wurde erschossen. Es ist einfach nur schrecklich. Und das alles auf Betreiben des Präsidenten der Vereinigten Staaten.“
Als eine nicht identifizierbare Person Pelosi mitteilte, dass alle im Plenarsaal nun Tränengasmasken aufgesetzt hätten, „um sich auf einen Einbruch vorzubereiten“, stutzte sie. Pelosi wandte sich an ihren Fraktionskollegen Jim Clyburn: „Glauben Sie das?“
Auch zum – republikanischen – Gouverneur von Maryland gab es in diesen dramatischen Stunden einen entsprechenden Kontakt. Pelosi und Chuck Schumer, damals Minderheitenführer im Senat, telefonierten mit dem amtierenden Justizminister Jeffrey Rosen. „Ja, warum bringen Sie den Präsidenten nicht dazu, ihnen zu sagen, dass sie das Kapitol verlassen sollen, Herr Justizminister?“ herrschte Schumer den Trump-Minister an. Eine „öffentliche Erklärung“, dass der Pro-Trump-Mob das Kapitol verlassen solle, sei nötig, sagte Schumer. Vergebens für Stunden. Erst Stunden später, um 18.01, Uhr sollte Trump seine Fans zum Gehen auffordern. Er twitterte dazu: „Niemand wird diesen Tag vergessen.“ Das kann man wohl sagen…
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Sturm auf Regierungsgebäude – Inwiefern die Stürmung in Brasilien jener in den USA ähnelt
Zwei Jahre liegen die Ereignisse auseinander. Die Ähnlichkeiten sind frappant – und Parlamente zunehmend unter Druck.
Autor: Pascal Studer .
Was ist geschehen? Ein Mob hat in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia das Regierungsviertel gestürmt. Tausende Anhängerinnen und Anhänger des ehemaligen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro nahmen das Kongress-Gebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Beschlag. Inzwischen sollen die Sicherheitskräfte die Situation unter Kontrolle haben.
Gibt es Parallelen zum Sturm aufs Kapitol in Washington? Die Ähnlichkeiten der beiden historischen Ereignisse sind frappant: Symbolträchtige Gebäude, die für Demokratie und rechtsstaatliche Strukturen stehen, werden gestürmt. Beide Male spielen abgewählte, rechtspopulistische Präsidenten eine elementare Rolle.
Auch Eduardo Jorge de Oliveira sind die Ähnlichkeiten aufgefallen. Der Professor für Brasilianistik an der Universität Zürich sagt: «Der Sturm aufs Kapitol war das erste, woran ich gedacht habe.» So sei eine «kriegerische Logik», welche derjenigen von Donald Trump ähnelt, von Bolsonaro kopiert worden. Er betont: «Die antidemokratischen Handlungen, wie sie in Brasilien genannt werden, sind direkt auf die Rhetorik der Bolsonoraristen zurückzuführen.»
In welcher Hinsicht unterscheiden sich die Ereignisse? Ganz deckungsgleich seien die beiden Ereignisse jedoch nicht. «Die brasilianische Kopie hat ihre eigene Dynamik», sagt de Oliveira. Vor allem gehe sie von lokalen Sektoren aus. Das bedeutet: Die Rhetorik Bolsonaros spricht unter anderem die unteren Ränge des Militärs an.
Tausende Anhängerinnen und Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro haben beim Sturm auf das Regierungsgebäude mitgemacht. George Marques/via REUTERS
Eine Bolsonaro-Anhängerin kniet vor den angerückten Sicherheitskräften. Mit Bussen führten die Behörden am Montag mehr als 1200 festgenommenen Personen aus dem Zentrum von Brasilia ab.
So wurden vor dem Sturm auf das Regierungsviertel auch die Wachen des Bundesbezirks «gelockert, sodass die Menschenmenge in den Palast des Planaltos, also den Regierungssitz, eindringen konnte». Zudem betont de Oliveira auch im Zusammenhang mit den Unruhen vom vergangenen Spätherbst: «Der Gouverneur von Brasilia ist ein Bolsonarist. Das heisst, es gibt militärische Sektoren, die mit Mitteln aus dem Privatsektor verbündet sind, um die Demonstranten seit November auf den Strassen zu halten.»
Bolsonaro im Spital
Jair Bolsonaro ist einem Insider zufolge in ein Krankenhaus in Florida eingeliefert worden. Sein Zustand sei «nicht besorgniserregend», sagte eine der Familie nahestehende Person der Nachrichtenagentur Reuters. Zuvor hatte die brasilianische Zeitung «O Globo» berichtet, Bolsonaro sei wegen Bauchschmerzen im Krankenhaus aufgenommen worden. Eine Stellungnahme von Bolsonaro selbst lag nicht vor. Das ehemalige Staatsoberhaupt ist in den vergangenen Jahren mehrfach im Krankenhaus behandelt worden, nachdem er während des Wahlkampfs 2018 Stichverletzungen erlitt.
Welche Rolle spielen die extremen Rechten?
Hier kann die Verbindung direkt zur rechtspopulistischen Bewegung von Donald Trump gezogen werden. So hat Steve Bannon, ehemaliger Berater und Chefstratege des Weissen Hauses, den Wahlkampf von Jair Bolsonaro im Jahr 2018 massgeblich geprägt. Damals bezeichnete Bannon Bolsonaro als «Figur wie Donald Trump».
Dass Bannon Teil von Bolsonaros Wahlequipe gewesen sei, bestreitet dieser. Trotzdem hat Bannon immer wieder betont, dass die Wahl in Brasilien nicht korrekt abgelaufen und Lula nicht der rechtmässige Präsident sei. Damit schlägt Bannon in die gleich Kerbe wie andere rechtsextreme Figuren wie beispielsweise Ali Alexander, welcher aufgefordert hatte, die brasilianische Regierung und Justiz zu stürzen…
Quelle:
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Stand der Ermittlungen „Sturm“ auf den Reichstag ohne Kosequenzen?
22.06.2022
Auflauf am Reichtstag nach Überwindung von Barrikaden am 29. August 2020 picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Der sogenannte Sturm auf den Reichstag im Sommer 2020 sorgte für große öffentliche Empörung. Die Polizei ermittelte in über 300 Fällen. Doch die Verurteilungsquote ist sehr gering und hat mit dem Kerngeschehen meist wenig zu tun.
Sie riefen „Widerstand“ und zeigten Schilder mit Parolen wie „Corona-Diktatur beenden“. Am 29. August 2020 zogen etwa 40.000 Menschen durch Berlin. Unter ihnen auch Rechtsextreme, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker. 500 bis 1.000 von ihnen durchbrachen im weiteren Verlauf eine Polizei-Absperrung und stürmten auf die Treppen des Reichstags. Einige besetzten diese, andere versuchten in den Reichstag einzudringen, wurden dabei aber aufgehalten, Polizisten stellten sich ihnen in den Weg.
Für die Beamten der LKA-Ermittlungsgruppe „Quer“ stand fortan die versuchte Stürmung des Reichstags im Zentrum ihrer Arbeit. Nach einem Bericht der WELT sichteten die Beamten Tausende Stunden Videomaterial und wollten so einen Großteil der Demonstranten von damals identifiziert haben.
Nach Vorermittlungen der Polizei noch 77 Fälle von Landfriedensbruch
Nach nunmehr zwei Jahren stellt sich der Stand der Ermittlungen wie folgt dar: Laut Angaben der Berliner Polizei gegenüber LTO wurde bei über 300 Ermittlungsvorgängen in 88 Fällen ein Tatverdächtiger ermittelt. Die Ermittlungen dauerten nach wie vor an. Zur Begründung heißt es: „Die hohe Anzahl der Ermittlungsvorgänge und Tatverdächtigen verbunden mit aufwändigen Maßnahmen zur Identifizierung der Personen bedingen unter anderem einen großen Zeitansatz.“
Was die von der Polizei Berlin ermittelten Tatvorwürfe angeht, gehe es in 77 Fällen vor allem um Landfriedensbruch. Weitere Fälle sind Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (fünf Fälle), Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (zwei Fälle), Beleidigung (ein Fall) und Sachbeschädigung (ein Fall). Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gegenüber LTO wurden bislang 82 Vorgänge von der Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Doch offenbar ist man dort ganz überwiegend nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tatvorwurf des Landfriedensbruchs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung führt.
Staatsanwaltschaft stellt 70 Prozent der Verfahren ein
Die Staatsanwaltschaft Berlin teilt LTO mit, dass von 82 abgegebenen Fällen ein Großteil, nämlich 55, eingestellt wurde, vor allem weil kein hinreichender Tatverdacht vorlag (39 Fälle) oder kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte (14 Fälle), im Übrigen wegen Teileinstellung oder vorübergehenden Hindernissen (zwei Fälle). 17 Verfahren seien nicht abgeschlossen, fünf Strafbefehle und eine Anklage noch gerichtsanhängig, ein weiteres Verfahren an eine andere Staatsanwaltschaft überwiesen worden.
In nur drei Fällen sei eine Verurteilung erfolgt und zwar zwei Mal wegen Landfriedensbruch nach § 125 Strafgesetzbuch (StGB) und einmal wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach § 86a StGB. Welcher konkrete Sachverhalt der Verurteilung zugrunde lag, konnte die Staatsanwaltschaft bis Redaktionsschluss nicht mitteilen.
Kaum Veurteilungen wegen Landfriedensbruchs
Eine größere Anzahl von Veurteilungen wegen Landfriedensbruch hat bislang, entgegen der polizeilichen Vorermittlungen, nicht stattgefunden. Auch am kommenden Freitag, wenn die erste Hauptverhandlung beim Amtsgericht Tiergarten zu der Thematik ansteht, geht es nicht um Vorwürfe des Landfriedensbruchs.
Dem 40-jährigen Thorsten-Werner L. wird vorgeworfen bei der Räumung des Reichtstagsgeländes einen Polizisten beleidigt und einen weiteren geschlagen und u.a. als „Volksverräter“ beschimpft zu haben. Da der Polizist aufgrund seiner Schutzausrüstung keine Schmerzen verspürt hat, ist der Mann lediglich wegen versuchter Körperverletzung angeklagt, so die Pressestelle des Gerichts.
Gegen den Angeklagten war vom Amtsgericht zunächst ein Strafbefehl erlassen worden. Nur weil der Angeklagte dagegen Einspruch eingelegt hat, kommt es zur Hauptverhandlung, nicht etwa wegen eines von der Staatsanwaltschaft angenommenen öffentlichen Interesses.
Enormer Ermittlungsaufwand wenig Verurteilungen
Landfriedensbruch ist also auch hier nicht angeklagt. Die hohe Zahl der Einstellungen deutet darauf hin, dass der bloße Auflauf unter Überwindung der Absperrgitter aus Sicht der Staatsanwaltschaft entgegen der Prüfung der Polizei den Tatbestand des Landfriedensbruchs nicht verwirklicht. Dieser fordert nach § 125 StGB Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass trotz enormen Ermittlungsaufwands fast zwei Jahre nach den Vorgängen offenbar nur drei Verurteilungen erfolgt sind, die im Wege des Strafbefehls erledigt wurden, was auf eine überschaubare Geldstrafe hindeutet. Inwieweit auch diese Verurteilungen überhaupt das Kerngeschehen des „Sturms“ auf den Reichstag betreffen oder, wie die Anklage bei der Verhandlung am Freitag, nur das Randgeschehen betreffen, ist von der Staatsanwaltschaft bislang nicht beantwortet worden. Hierzu müssten erst noch die Akten gezogen werden, was etwas Zeit in Anspruch nehme.
Großer Aufwand, wenig Verurteilungen. Dass weitere Ermittlungen hieran etwas ändern, dürfte unwahrscheinlich sein.
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Die Köpfe hinter dem vereitelten Staatsstreich: Das sind die festgenommenen „Reichsbürger“
Die Polizei hat in einer bundesweiten Razzia 25 Personen festgenommen, acht sind nun in U-Haft. Das sind die Köpfe, die den Staatsstreich vorbereitet haben sollen.
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Am Dienstag waren 3000 Polizeibeamte in elf Bundesländern im Einsatz. 25 Menschen aus der sogenannten „Reichsbürger“-Szene wurden festgenommen. Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise bereits mit Waffen trainiert haben. Das „zukünftige Staatsoberhaupt“, die Justizministerin und der Militärchef waren bereits im Gespräch. Wer sind die Menschen, die den Putsch geplant haben?
Das „zukünftige Staatsoberhaupt“: Heinrich XIII. Prinz Reuß
Der 71 Jahre alte Prinz mit Wohnsitz in Frankfurt am Main gilt als Hauptbeschuldigter. Er ist Immobilienunternehmer und Gutsherr eines Jagdschlosses im ostthüringischen Bad Lobenstein. Seine Wohnung und auch sein Schloss wurden während der Razzia durchsucht.
Der „Putsch-Prinz“ suchte die Nähe zur Reichsbürger-Szene, so berichtet „Die Zeit“. Seine Reden seien voll antisemitischer, demokratiefeindlicher und verschwörerischer Aussagen gewesen.
Den Ermittlungen zufolge soll der Adlige Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe gewesen sein und im Fall des Umsturzes als „zukünftiges Staatsoberhaupt“ gegolten haben. Er soll auch versucht haben, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen.
Die designierte Justizministerin: Birgit Malsack-Winkemann
Die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann war laut der Senatsinnenverwaltung die einzige Festnahme in der Hauptstadt. In der Zeit nach dem Umsturz soll Malsack-Winkemann als Justizministerin vorgesehen gewesen sein. Für die Ermittler ist sie eine zentrale Figur in der Umsturztruppe: Sie soll zu einem baldigen Schlag geraten haben, die Behörden wollten das verhindern.
Malsack-Winkemann saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und war bislang am Landgericht Berlin tätig. Nach eigenen Angaben ist sie seit April 2013 Mitglied der AfD. Von 2015 bis 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende der AfD im Berliner Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf.
Der Bundeswehr-Oberst außer Dienst: Maximilian Eder
Wenig weihnachtlich sieht es aus, als sich Maximilian Eder am ersten Advent mit einer Videobotschaft an seine „Freunde” und Kameraden wendet. Der ehemalige Bundeswehr-Oberst sitzt nur mit einem Pullover bekleidet auf der Brüstung einer Terrasse, im Hintergrund ist die dalmatische Adria zu erkennen.
Hier, auf einer kroatischen Insel, tanke er noch mal „Kraft und Energie”, erklärt Eder seinen Zuschauern, denn „die nächsten Wochen werden eine ganze Menge an Umbruch bringen”. Kryptisch richtet sich Eder an seine Gefolgschaft: „Es wird nicht nur eine Zeitenwende, sondern ein Zeitenumbruch kommen und ich hoffe sehr, dass dies vor Weihnachten 2022 geschieht.”
Tatsächlich kommt dieser Zeitenumbruch für den Mann, der als Kommandeur ein Panzergrenadierbataillon in den Kosovo-Einsatz führte, noch vor Weihnachten, nur anders, als Eder es erwartet hatte. Der geplante Staatsstreich fällt aus, stattdessen dürfte der Ex-Soldat den Rest der Adventszeit in Untersuchungshaft verbringen.
Wer wusste von der „Reichsbürger“-Razzia? „Es kann sein, dass die Polizei nächste Woche kommt“
Bereits in der Vergangenheit machte Eder durch verschwörungsideologische Aussagen auf sich aufmerksam und trat regelmäßig in „Querdenken“-Kreisen auf.
Seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal engagierte sich Eder so lautstark im Milieu der Querdenker und Reichsbürger, dass die Bundeswehr laut Medienberichten ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleitete, wie „Die Zeit“ berichtet. Eder ließ sich davon nicht abschrecken, sondern verbreitete seine Umsturzgedanken in den sozialen Medien. Es werde „eng für ein verrottetes, missbrauchtes und in die Enge getriebenes System“, schrieb Eder, der am Mittwochmorgen nach Tagesspiegel-Informationen im italienischen Perugia (Umbrien) festgenommen wurde.
Der Survival-Experte: Peter W.
Unter den Festgenommenen der Großrazzia befinden sich neben dem Bundeswehr-Oberst außer Dienst noch weitere Bayern. Darunter nach Tagesspiegel-Informationen Peter W. aus Bayreuth. Der Mann bietet unter dem Namen „Wolfszeit Naturkraft” Seminare im sogenannten Survivaltraining an und gilt als Unterstützer der Neonazi-Prepperszene.
W. trat unter anderem mit dem als „Volkslehrer” bekannten Nikolai Nerling gemeinsam in einem Video auf. Besonders pikant: 2016 wurde W. vom „Nordbayerischen Kurier” zu seinen Überlebenstrainings interviewt. Auf Nachfrage nach den Inhalten der Kurse antwortet W.: „In meinen Urban-Survival-Seminaren bringe ich den Leuten unter anderem bei, Stacheldraht richtig zu verwenden. Damit lässt sich ein Balkon gegen Eindringlinge abschotten – aber auch das Treppenhaus. Das ist wichtig.”
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Durch W. sind die Ermittler dem Netzwerk auf die Spur gekommen, so berichtet „Die Zeit“. Als sie Mitte April W.s Wohnung bei Bayreuth durchsuchten, stießen sie auf Schusswaffen, Munition, Magazine, einen sogenannten Totschläger und eine Handgranatenattrappe.
Der Chef des „militärischen Arms“: Rüdiger von P.
Der „militärische Arm“ sollte die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen, wie die „Bild“ berichtet. Chef des „militärischen Arms“ sei Rüdiger von P. gewesen.
Der ehemalige Oberstleutnant war bis April 1996 Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw (Baden-Württemberg), einer Elitetruppe der Fallschirmspringer, und W.s früherer Vorgesetzter. Aus dem Bataillon ging 1996 das Kommando Spezialkräfte (KSK) hervor. P. stand bereits damals im Verdacht, Waffen beiseitegeschafft zu haben, so „Die Zeit“. Er schied 1996 aus dem Dienst au
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Laut Bundesanwaltschaft soll P. einen achtköpfigen Führungsstab eingesetzt haben. Dieser befasste „sich unter anderem mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikations- und IT-Struktur, der Durchführung von Schießübungen“ und dem Aufbau sogenannter Heimatschutzkompanien.
Der ehemalige AfD-Stadtrat: Christian W.
Als weiterer Schwerpunkt der Durchsuchungen stellte sich am Mittwochmorgen das Erzgebirge heraus. Hier wurde unter anderem der ehemalige Olbernhauer AfD-Stadtrat Christian W. unsanft von Spezialeinsatzkräften geweckt. W. saß für die Rechtspopulisten bis 2020 im Gremium, bis er sich damals aus „persönlichen Gründen” zurückzog.
Wie die „Sächsische Zeitung” berichtet, war der ehemalige Stadtrat bis April 2022 Mitglied im lokalen Schützenverein und dementsprechend möglicherweise im Besitz eines Waffenscheins. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft war W. innerhalb der rechten Gruppe unter anderem für die Beschaffung von Waffen zuständig
Der Unterstützer: Frank R
Ebenfalls in Olbernhau, direkt an der Grenze zu Tschechien, wurde Frank R. festgenommen. Der Mann besitzt eine Autowerkstatt, die von Polizisten in den Morgenstunden durchsucht wurde. R. soll anders als die anderen Festgenommen kein direktes Mitglied der Vereinigung gewesen sein, sondern die Gruppe „unterstützt” haben.
Der Kriminalhauptkommissar: Michael F.
In Niedersachsen klopfte es am frühen Morgen bei Michael F. Der ehemalige Kriminalhauptkommissar wurde nach einem Gerichtsbeschluss im April 2022 aus dem Dienst entlassen. Bereits 2020 war der Polizist vom Dienst entbunden worden, nachdem er in einer Rede auf einer Kundgebung die damaligen Corona-Regeln mit dem Nationalsozialismus verglich.
F. war einer der führenden Protagonisten der niedersächsischen Querdenken-Szene und trat bei zahlreichen Demonstrationen auf. Besonders der Fakt, dass F. zwischenzeitlich als Polizist für die Sicherheitskonzepte jüdischer Einrichtungen in Niedersachsen zuständig war, sorgte nach der bundesweiten Razzia heute Morgen und der damit verbundenen Festnahme des Ex-Polizisten für erneute Beunruhigung in verschiedenen jüdischen Gemeinde
Der KSKler: Andreas M.
Als besonders brisant gilt der Fall des Andreas M., der noch aktiv bei der Bundeswehr beschäftigt ist: in der Logistik der Eliteeinheit KSK in Calw, wie „die Zeit“ berichtet. Er gilt als Anhänger des Deutschen Reichs und soll seine Abneigung gegenüber dem demokratischen System der Bundeswehr offen gezeigt haben.
Der Einsatz einer Eliteeinheit gegen einen Angehörigen einer anderen Eliteeinheit, des KSK, habe es in der deutschen Geschichte nur selten gegeben. Da die Einsätzkräfte befürchteten, M. könnte bewaffnet sein und könnte sich gegen seine Festnahme wehren, übernahm die Spezialeinheit der Bundespolizei GSG9 den Zugriff.
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Neben diesen Fällen gab es noch weitere Festnahmen. Insgesamt 25 Personen hat die Bundesanwaltschaft festnehmen lassen. Die Gruppe ist bunt gemischt. Laut „Spiegel“-Informationen ist ein Gourmetkoch darunter, dessen Tochter mit einem schwarzen Fußballprofi ein Kind hat, ein Dachdeckermeister, der im Schwarzwald Corona-Proteste organisiert hat, ein Pilot einer deutschen Fluggesellschaft, ein promovierter Rechtsanwalt und ein klassischer Tenorsänger, der nach der Übernahme wohl das Kulturressort bekommen sollte.
Eine wohlhabende Ärztin soll für „spirituelle Fragen“ zuständig gewesen sein und der Gruppe 20.000 Euro gespendet haben. Um potenzielle Mitstreiter auf ihre Verlässlichkeit zu überprüfen, hätte es engen Kontakt zu zwei angeblichen Hellsehern gegeben, die ebenfalls beschuldigt sind. (mit dpa/AFP)
Quelle
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